Ödipus

Ödipus
Ödipus,
 
griechisch Oidịpus, lateinisch Oedipus, griechischer Mythos: Sohn des Laios, König von Theben, und der Iokaste. Nachdem Laios vom delphischen Orakel gewarnt worden war, einen Sohn zu zeugen, da dieser seinen Vater töten und seine Mutter heiraten werde, und Iokaste doch einen Sohn zur Welt gebracht hatte, wurde dieser auf dem Berg Kithairon mit durchstochenen Füßen ausgesetzt, von Hirten gerettet, zu dem kinderlosen Königspaar (Polybos und Merope) nach Korinth gebracht und dort an Sohnes statt angenommen. Als O. das Orakel von Delphi wegen seiner geheimnisvollen Herkunft befragte und das Orakel die seinerzeitige Prophezeiung wiederholte, verließ O. seine vermeintliche Heimat Korinth. Auf dem Weg durch Phokis traf er nahe einer Weggabelung auf Laios; da er dessen Wagenlenker nicht schnell genug auswich, geriet er mit Laios in Streit und tötete seinen ihm unbekannten Vater. In Theben löste er die Rätsel der Sphinx und befreite damit die Stadt von diesem Ungeheuer; zum Dank erhielt er den Thron und die Hand der Königin, die ihm Eteokles, Polyneikes, Antigone und Ismene gebar. Als eine Pest ausbrach und das Orakel die Bestrafung von Laios' Mörder forderte, wurde durch den Seher Teiresias und als Ergebnis einer von O. selbst geleiteten Untersuchung die Wahrheit offenbar; Iokaste erhängte sich, O. stach sich beide Augen aus, Eteokles und Polyneikes vertrieben ihn aus der Stadt. O. irrte, von Antigone begleitet, in der Fremde umher, bis er im Hain der Eumeniden auf dem Kolonos bei Athen auf geheimnisvolle Weise entrückt wurde. Die tragische Familiengeschichte wird fortgesetzt im Mythos um die Kinder des Ödipus und der Sieben gegen Theben.
 
In der Antike wurde Ödipus v. a. auf Vasen dargestellt, öfter mit der Sphinx, so auf einer Pelike des Achilleusmalers (5. Jahrhundert v. Chr., Berlin, Antikensammlung); Ödipus-Zyklen finden sich auf römischen Sarkophagen und Wandbildern. Die neuzeitliche Kunst gab, v. a. im 19. Jahrhundert, der Sphinx-Szene den Vorzug (A. D. Ingres, G. Moreau).
 
Die geläufige Form des Mythos geht auf die Tragödien des Sophokles zurück (»König Ödipus«, »Ödipus auf Kolonos«), auch Aischylos' Tragödie »Sieben gegen Theben« und Euripides' »Phönikerinnen« sind damit verbunden. Über Senecas des Jüngeren Bearbeitungen (»Ödipus«, »Phönikerinnen«) gelangte der Stoff in die europäische Literatur, wo er bis in die Gegenwart wirkt. Selbstständige literarische Neugestaltungen schufen P. Corneille (»Oedipe«, 1659) und Voltaire (»Oedipe«, 1718). Für die deutsche Literatur setzte Hölderlin mit der Übersetzung des Sophokles (»Ödipus Tyrann«, 1804) Maßstäbe. Im 20. Jahrhundert beeinflusste v. a. die Ausdeutung des Mythos durch S. Freud (Ödipuskomplex) die literarische Behandlung des Stoffes entscheidend, so besonders in den Ödipus-Dichtungen von J. Péladan (»Oedipe et le Sphinx«, Uraufführung 1903), H. von Hofmannsthal (»Ödipus und die Sphinx«, 1906), J. Cocteau/I. Strawinsky (»Oedipus rex«, 1928, Oper), A. Gide (»Oedipe«, 1930) und J. Cocteau (»La machine infernale«, 1934). T. S. Eliot übertrug den Ödipus-Stoff in die Gegenwart (»The elder statesman«, 1959), W. Rihm schrieb das Musikdrama »Ödipus« (1987).
 

Universal-Lexikon. 2012.

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